28.04.2024Forschung und Entwicklung, Verband

Das sagt die Branche zu robusten Sorten

Forschung — Produktion — Zwischenhandel — Detailhandel: Eine nationale Sortenstrategie betrifft die ganze Wertschöpfungskette. Wir wagen den Rundumblick.

Lesen Sie hier die vier Interviews mit Branchenvertreterinnen und Branchenvertretern.

Perspektive Forschung: Simone Bühlmann-Schütz, Forschungsgruppe «Obstzüchtung», Agroscope

Perspektive Produktion: Julien Taramarcaz, Kernobstproduzent aus Martigny VS

Perspektive Zwischenhandel: Samuel Wyssenbach, Leiter Beschaffung Früchte, Inoverde

Perspektive Detailhandel: Stephan Blunschi, Bereichsleiter Einkauf, Früchte und Gemüse, Migros Supermarkt AG

«Nur wenige Sorten können
sich am Markt durchsetzen.»

Simone Bühlmann-Schütz Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Apfelzüchterin in der Forschungsgruppe «Obstzüchtung», Agroscope

Was braucht eine neue Sorte?

Viel! Das Hauptkriterium ist die innere und äussere Fruchtqualität, denn nur ein guter Apfel wird schlussendlich von den Konsumentinnen und Konsumenten nachgefragt und gekauft. Auch die Lagerfähigkeit spielt eine zentrale Rolle, damit möglichst das ganze Jahr in der Schweiz produzierte Äpfel verkauft werden können. Der Apfelbaum soll zudem möglichst stabile Erträge liefern und für die Produzentinnen und Produzenten effiziente Arbeitsabläufe bieten.

Welche Rolle spielt die Robustheit in Ihren Züchtungsprogrammen?

Im Apfelzüchtungsprogramm von Agroscope wurden die Resistenz und die Robustheit gegen diverse Krankheiten (Apfelschorf, Mehltau, Feuerbrand) schon vor mehr als 40 Jahren als ein wichtiges Kriterium für neue Sorten erkannt und in die Zuchtziele einbezogen. Dadurch hat man heute bereits langjährige Erfahrung und viele robuste, potenzielle neue Sorten mit mehrfacher Resistenz gegen eine oder mehrere Krankheiten in der Prüfung.

Welche Eigenschaften sind hier besonders gefragt?

Eine robuste beziehungsweise resistente Apfelsorte soll weniger schnell, weniger stark oder im besten Fall gar nicht von einer Krankheit oder einem Schädling befallen werden als eine vergleichsweise anfällige Sorte unter den üblichen Produktionsbedingungen. Bei den Krankheiten in der Schweiz sind dies in erster Linie die beiden Pilzkrankheiten Apfelschorf und Mehltau, gegen welche bei einer anfälligen Sorte mehrere Pflanzenschutzbehandlungen pro Saison notwendig sind. Dazu kommt der Feuerbrand, dessen Bakterium das Potential besitzt, eine ganze Anlage in nur einer Saison zu zerstören. Im Zuchtprogramm bei Agroscope werden aus diesem Grund bekannte Haupt- und Teilresistenzen gegen alle drei Krankheiten miteinander kombiniert.

Wie unterscheidet sich die Züchtung von robusten Sorten von konventionellen Sorten?

Im Vergleich zu den konventionellen Sorten dauert die Züchtung länger. Denn bei der Züchtung von robusten und resistenten Sorten stammen viele der bekannten Resistenzgene ursprünglich aus Wildäpfel. Somit ist die Verbesserung der Anbaueigenschaften und der Fruchtqualität oft eine grosse Herausforderung.

Was braucht es bei der Züchtung, damit eine neue Sorte den Durchbruch schafft am Point of Sale?

Der Apfelmarkt ist hart umkämpft, und jährlich werden dem Schweizer Markt mehrere Sorten aus dem In- und Ausland vorgestellt. Nur wenige Sorten können sich schlussendlich am Markt durchsetzen. Nach den gut 15 bis 25 Jahren, welche die Entwicklung einer neuen Sorte braucht, muss die Sorte sicherlich bezüglich ihrer Fruchtqualität, Stetigkeit und Produktionseigenschaften überzeugen, verfügbar sein und mit etwas Glück den Handel und letztlich die Konsumentin oder den Konsumenten in der Schweiz von sich überzeugen.


«Die Abnahmegarantie ist zentral.»

Interview mit Kernobstproduzent Julien Taramarcaz

Was braucht ein Betrieb, um auf eine resistente Apfelsorte umzustellen?

Ob robust oder nicht, bevor ich eine neue Sorte pflanze, muss ich sicher sein, dass der Apfel auch vermarktet werden kann. Heute kann niemand mehr das Risiko eingehen, eine Obstanlage zu pflanzen, ohne sicher zu sein, dass die Ware auch verkauft werden kann.

Was raten Sie bei einer solchen Risikoabwägung?

Wir müssen alle an einem Strang ziehen. Wer heute eine Anlage pflanzt, muss dies Hand in Hand mit den Abnehmern tun. Die grossen Einzelhändler müssen die Gewähr geben, dass in ihren Regalen Platz für robuste Sorten ist. Das agronomische Wissen über die Äpfel, die wir heute pflanzen können, wurde in der Schweiz oder in unseren Nachbarländern bereits unter Beweis gestellt. Es wird sicher nötig sein, einige Anpassungen vorzunehmen und Erfahrungen zu sammeln.

Warum haben Sie sich für den Anbau robuster Sorten entschieden?

Mit diesen Sorten können wir den Einsatz von Betriebsmitteln reduzieren. Dadurch sollten wir in der Lage sein, den CO2-Ausstoss unserer Äpfel zu reduzieren. Ausserdem kann ich so die Ernte besser staffeln und vor allem habe ich mehr Sicherheit bei meinen Abnehmern.

Welche Absatzkanäle sind Ihrer Meinung nach für resistente Apfelsorten geeignet?

Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass diese Früchte vor allem über die grossen Handelsketten verkauft werden sollten. Vielleicht nach dem gleichen Konzept wie bei unseren deutschen Nachbarn. Nicht unter einer Sortenbezeichnung, sondern eher unter einem einheitlichen Label, das die robusten Äpfel zusammenfasst und für den Konsumenten erkennbar macht.

Sie nehmen dieses Jahr Einsitz in den Vorstand des Schweizer Obstverbands und vertreten dort die Kernobstproduktion. Wofür werden Sie sich in Bezug auf robuste und resistente Sorten einsetzen?

Als Vorstandsmitglied muss ich die Gesamtheit der Schweizer Produzenten vertreten. Die Entscheidung, ob eine robuste Sorte gepflanzt wird oder nicht, ist von Betrieb zu Betrieb verschieden und sollte nicht nur von den vom Bund zur Verfügung gestellten Geldern motiviert sein.


«Keine Kompromisse
bei der Qualität!»

Interview mit Samuel Wyssenbach, Leiter Beschaffung Früchte, Inoverde

Wo stehen Sie aktuell? Wie sind die Apfelsorten aufgeteilt?

Wir unterscheiden aktuell nach verschiedenen Kriterien. Zum Beispiel nach frühen und späten Sorten, nach Lagerfähigkeit, nach Geschmacksgruppen oder nach Marktsegment. Bei Inoverde haben wir auch eine Warengruppe mit robusten Sorten.

 Spüren Sie eine verstärkte Nachfrage aus dem Detailhandel nach robusten Sorten?

Die Relevanz wächst auf allen Wertschöpfungsstufen. Im Obstgarten muss man die Anbaurisiken in den Griff bekommen. Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen nachhaltige Lebensmittel zu möglichst günstigen Preisen. Und der Detailhandel dazwischen will dieses Bedürfnis befriedigen. Bisher haben wir die robusten Sorten im Standardsortiment vermarktet. Ein erster Grosskunde hat nun mit einer speziellen Produktlinie gestartet. Wir sind gespannt, wie sich das entwickelt.

Was bräuchte es, damit sich eine robuste und resistente Sorte am Markt durchsetzen kann?

Keine Kompromisse bei der Qualität! Ein Apfel muss schmecken und gefallen, damit die Konsumentinnen und Konsumenten zugreifen. Aufgrund seiner erstklassigen Qualität konnte sich der Schweizer Apfel in der Vergangenheit gegen zahlreiche Substitutionsprodukte behaupten. Ist das nicht mehr der Fall, nützt auch der nachhaltigste Anbau nichts. Wichtig ist auch eine sinnvolle Marktpositionierung der resistenten Sorten.

In der Branche wird eine nationale Strategie für robuste und resistente Sorten diskutiert. Was braucht es, damit eine solche Strategie umgesetzt werden kann?

Wichtig ist, dass die verschiedenen Akteure entlang der Wertschöpfungskette am Tisch sind, um allfällige Zielkonflikte zu lösen. Ich denke da zum Beispiel an das Spannungsfeld Ertrag versus Qualität. Erfolgreich am Markt positionieren können wir die neuen Sorten zudem nur in Zusammenarbeit mit dem Detailhandel.

Wer sollte eine solche Strategie vorantreiben?

Ich finde den Ansatz der Anbauregion Südtirol interessant. Dort wurde ein Sortenkonsortium gebildet, das Sorten mit Potenzial evaluiert und die Akteure vernetzt. So lässt sich das Floprisiko minimieren und der Markt kann trotzdem spielen.


«Zu Kompromissen beim
Geschmack wird der Konsument
kaum bereit sein.»

Stephan Blunschi, Bereichsleiter Einkauf Früchte und Gemüse, Migros Supermarkt AG

Was sind von Ihrer Seite die Voraussetzungen, dass im Regal Platz für eine neue und robuste Apfelsorte geschaffen werden kann?

Was unserer Einschätzung nach matchentscheidend ist für das Einführen von neuen und robusten Sorten, ist die Akzeptanz bei den Konsumentinnen und Konsumenten. Das Hauptentscheidungskriterium dabei ist die Qualität. Jeder Apfel und jede Birne, die im Markt eine Chance haben wollen, müssen gustativ überzeugen. Wenn dies gegeben ist, müssen die Sorten auch punkto Produktivität im Anbau sowie mit effektivem Nachhaltigkeitsmehrwert überzeugen. Es ist unsere Aufgabe als Branche, diese Herausforderungen miteinander aufzulösen.

Wie nehmen Sie die Nachfrage wahr?

Die Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten bezieht sich nicht auf resiliente Sorten, sondern auf eine verantwortungsbewusste Produktion, die den Schweizer Lebensraum schützt. Dass resiliente Sorten dabei einen Beitrag leisten können, wird natürlich positiv wahrgenommen. Zu Kompromissen punkto Geschmackserlebnis wird die Konsumentin oder der Konsument deswegen aber kaum bereit sein.

Inwiefern kann die Robustizität ein zusätzliches Verkaufsargument sein? Und ist Ihnen das wichtig?

Isoliert ist das kein Verkaufsargument für den Kunden. Die Botschaft für den Kunden muss sein, dass er Schweizer Äpfel und Birnen sorgenlos geniessen kann. Da haben wir als Branche noch Hausaufgaben zu erfüllen. Resiliente Sorten können uns helfen, den Einsatz von Pflanzenschutzmittel und den ökologischen Fussabdruck der Schweizer Kernobstproduktion zu verringern. Das ist uns als Migros sehr wichtig. Ebenso sehen wir uns in der Verantwortung für unsere Kunden sicherzustellen, dass wir als Branche alle Hebel, die uns zur Verfügung stehen, optimal nutzen.

Sollten robuste und resistente Sorten gemeinsam unter einer neuen Marke eingeführt werden?

Der Königsweg ist das Vertrauen in Schweizer Äpfel und Birnen zu stärken und die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen im Anbau mit nachhaltigen Lösungen zu meistern. Dann profitieren wir als Branche alle am meisten. Es geht hier nicht primär um Profilierung, sondern darum die grundlegenden Erwartungen des Konsumenten der Zukunft zu erfüllen und somit einem weiteren Rückgang des Konsums von Äpfel und Birnen zu verhindern.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Wie sieht das Kernobstsortimentder Migros in zehn Jahren aus?

Das Apfel- und Birnensortiment in der Migros wird vielseitig, regional und schmackhaft sein und den Kundenanforderungen an eine ganzheitliche nachhaltige Produktion entsprechen. Resiliente Sorten werden dazu ihren Beitrag leisten.

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